Der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) ist ein Parasit, der über 400 Süßgrasarten (Poaceae) befällt – darunter viele Getreide- und Futterpflanzen wie Roggen. Auch Binsengrasgewächse (grasähnliche Stauden) und Riedgrasgewächse können betroffen sein. Für medizinische Zwecke wird aber nur das sogenannte Sklerotium vom Roggen verwendet – das „Mutterkorn“. Es enthält Wirkstoffe wie Ergolin-Alkaloide, von denen Ergometrin und die Ergopeptine zur therapeutischen und toxischen Wirkung beitragen.
Der Pilz kommt weltweit vor, besonders in Roggenanbaugebieten wie Europa, Asien und Nordamerika. Früher wurde Mutterkorn zu medizinischen Zwecken gezielt auf Roggen angebaut, heute wird es meist industriell in Kulturen gezüchtet – der Freilandanbau wurde vielerorts eingestellt.
Lebenszyklus: Der Pilz infiziert den Fruchtknoten des Roggens durch seine Sporen. Innerhalb einer Woche wächst ein Pilzgeflecht (Myzel) hinein und bildet nach etwa 10 Tagen eine zuckerhaltige Flüssigkeit, die Sporen enthält. Dieser sogenannte Honigtau zieht Insekten an und fördert die weitere Verbreitung. Später bildet sich das Sklerotium: ein hartes, dunkles Gebilde, das bis zu 8 cm lang werden kann. Es fällt vor der Ernte zu Boden und überwintert dort. Im Frühjahr wachsen daraus kleine, rosafarbene Fruchtkörper, die neue Sporen freisetzen. Diese werden durch den Wind verbreitet und können neue Pflanzen infizieren. Durch moderne Ernte- und Mahltechniken stellt der Mutterkornbefall auf Getreide heutzutage kein Gesundheitsrisiko beim Verzehr von Mehlprodukten mehr dar.
Für alle Secale-Zubereitungen und alle Mutterkorn-Alkaloide gilt es jedoch die gesetzlichen Bestimmungen zu beachten: Sie sind apotheken- und in höherer Dosis sogar verschreibungspflichtig.
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Secale cornutum L. |
Familie: |
Clavicipitaceae |
Ordnung/Klasse: |
Clavicipitales/Ascomycetes (Schlauchpilze) |
Synonyme/Trivialnamen: |
Claviceps purpurea (Fr.) Tul./Mutterkorn, Mutterkornpilz, Bockshorn, Roggenbrand |
Secale cornutum ist das „heißeste Mittel“ in der Homöopathie, denn Menschen mit Secale-Konstitution leiden typischerweise unter stark brennenden Empfindungen im gesamten Körper. Kälte hingegen vermag alle Secale-Beschwerden zu lindern.
In der Homöopathie wird das auf der Roggenpflanze gewachsene und getrocknete Sklerotium von Claviceps purpurea (Fries) Tulasne verwendet und nach den Angaben des homöopathischen Arzneibuches (HAB) potenziert. Somit wird die giftige Ausgangssubstanz ungefährlich, kann aber dennoch ihre positive Wirksamkeit entfalten.
Secale ist ein homöopathisches Arzneimittel, das eher bei älteren Erwachsenen eingesetzt wird, die zu Blutungen neigen. Es verursacht Kontraktionen der glatten, unwillkürlichen Muskulatur, und zwar vor allem der Blutgefäße und der Gebärmutter. Es wirkt aber auch auf das Nervensystem.
Menschen, für die Secale cornutum in der homöopathischen Behandlung in Frage kommt, machen häufig einen geschwächten, ausgemergelten Eindruck. Besonders oft betrifft dies Frauen mit schlanker Statur, die durch eingefallene Gesichtszüge und dunkle Augenringe älter wirken, als sie tatsächlich sind. Frauen klagen über starke, anhaltende, dunkle Gebärmutterblutungen sowie krampfartige Menstruationsschmerzen, begleitet von übelriechendem bräunlichen Ausfluss.
Typisch ist die ausgeprägte Hitzeempfindlichkeit. Die Betroffenen meiden warme Umgebungen und empfinden selbst leichte Wärme als unangenehm. Alle Beschwerden werden von einem Gefühl tiefster Kälte begleitet, obwohl gleichzeitig eine ausgeprägte Abneigung dagegen besteht sich zuzudecken.
Begleitend treten häufig Missempfindungen wie brennendes Hautkribbeln („Ameisenlaufen“), eiskalte Hände und Füße sowie Schmerzen in den Fingerspitzen auf. Ein weiteres charakteristisches Zeichen ist die trockene, rissige und klebrig belegte Zunge. Der Stuhlgang ist typischerweise dünn und blutig.
Das Mutterkorn, aus dem später das homöopathische Mittel Secale cornutum gewonnen wurde, hat eine gruselige Geschichte. Von der Antike bis ins hohe Mittelalter führte der Pilz immer wieder zu mysteriösen Massenvergiftungen. Ganze Dörfer litten unter Krämpfen, Halluzinationen und dem sogenannten „Antonius-Feuer“ oder „Mutterkorn-Brand“ (Ergotismus) bei dem Gliedmaßen schwarz wurden und abstarben. Man hielt das Phänomen für eine Strafe Gottes oder Hexenwerk. Erst um 1676 herum erkannte man, dass der unscheinbare Pilz Claviceps purpurea der Auslöser war – ein kleiner Parasit, der das Mehl verseucht hatte. Aus ebendiesem Gift wurden später Arzneimittel entwickelt– aus dem Fluch wurde letztendlich ein Segen.